Götz von Berlichingen I

Er fand etliche Spuren dieses vortrefflichen Mannes in einem juristischen Buch - ließ sich Götzens Lebensbeschreibung von Nürnberg kommen, glaubte, daß es anschaulicher wäre in der Gestalt, wie's vor Augen liegt, webte einige Episoden hinein, und ließ es ausgehn in alle Welt. (An G. F. W. Grossmann  4. 2. 1781.)
So bündig schildert Goethes Mutter die Entstehung des 'Urgötz', d. h. der Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand. Auch sie fällt in der Hauptsache in den Spätherbst 1771, ist Frucht der Begegnung mit Herder und Shakespeare. Über die Stimmung, in der der Frankfurter Anwalt zu Werke geht, gibt ein Brief an den Straßburger Mentor Salzmann vom 28. 11. 1771 Auskunft. Er weist die Arbeit am Götz aus als einen Versuch, das Programm vom Ende der Shakespeare-Rede zu verwirklichen und ungeachtet der Frankfurter Enge und Leere die innere "Stärcke" zu verwenden, um ein "Objekt" zu "packen und zu tragen":

Sie kennen mich so gut, und doch wett ich, Sie rathen nicht warum ich nicht schreibe. Es ist eine Leidenschafft, eine ganz unerwartete Leidenschafft, Sie wissen wie mich dergleichen in ein Cirkelgen werfen kann, dass ich Sonne, Mond und die lieben Sterne darüber vergesse. Ich kann nicht ohne das seyn, Sie wissens lang, und koste was es wolle, ich stürze mich drein. Diesmal sind keine Folgen zu befürchten [wie bei der Leidenschaft für Friederike]. Mein ganzer Genius liegt auf einem Unternehmen worüber Homer und Schäkespear und alles vergessen worden. Ich dramatisire die Geschichte eines der edelsten Deutschen, rette das Andencken eines braven Mannes, und die viele Arbeit die mich's kostet, macht mir einen wahren Zeitvertreib, den ich hier so nöthig habe, denn es ist traurig an einem Ort zu leben wo unsre ganze Wircksamkeit in sich selbst summen muß. Ich habe Sie nicht ersetzt, und ziehe mit mir selbst im Feld und auf dem Papier herum. In sich selbst gekehrt, ist's wahr, fühlt sich meine Seele Essorts [essors, Aufschwünge] die in dem zerstreuten Strasburger Leben verlappten. Aber eben das wäre eine traurige Gesellschafft, wenn ich nicht alle Stärcke die ich in mir selbst fühle auf ein Objeckt würfe, und das zu packen und zu tragen suchte, so viel mir möglich, und was nicht geht, schlepp ich. Wenn's fertig ist sollen Sie's haben, und ich hoff Sie nicht wenig zu vergnügen, da ich Ihnen einen edeln Vorfahr (die wir leider nur von ihren Grabsteinen kennen) im Leben darstelle. Dann weiss ich auch Sie lieben ihn auch ein bisgen weil ich ihn bringe...
Sonst ist alles um mich herum todt. Wie viel Veränderungen dennoch mit mir diese Monate vorgegangen, können Sie ahnden, da Sie wissen wie viel Papier zum Diarium meines Kopfs zu einer Woche gehörte.
Franckfurt bleibt das Nest. Nidus wenn Sie wollen. Wohl um Vögel auszubrüteln, sonst auch figürlich spelunca ein leidig Loch. Gott helf aus diesem Elend. Amen.

An Herder geht eine Abschrift Anfang 1772. Der Brief mit Herders Urteil ist nicht erhalten, aber aus Goethes Antwort 10. 7. 1772 läßt sich erschließen, daß es ebenso hart wie ermutigend war:

Von Berlichingen [Geschichte Gottfriedens von Berlichingen] ein Wort. Euer Brief war Trostschreiben, ich setzte ihn weiter schon herunter als ihr. Die Definitiv [unwiderruflicher Urteilsspruch] "Dass euch Schäckesp. [Shakespeare] ganz verdorben pp" erkannt ich gleich in ihrer ganzen Stärke, genug es muss eingeschmolzen von Schlaken gereinigt mit neuem edlerem Stoff versetzt und umgegossen werden. Dann solls wieder vor euch erscheinen.

Das wird im Sommer 1773 sein.
 
 


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