Schweizer Reise I
Als 'Flucht' hat Goethe
seine Reise in die Schweiz aufgefaßt. Flucht wovor? Offenbar war
die ganze Situation ungelöst, ohne greifbare Perspektiven. Die Beziehung
zu Lili war anscheinend mindestens so quälend wie beglückend,
eine angemessene Berufsperspektive gab es in Frankfurt weniger denn je,
da der junge Rechtsanwalt nun eine Berühmtheit war, und als Berufsdichter
konnte er sich nicht etablieren, da Dichten damals noch nicht als respektabler
Beruf galt, für anständige Leute nur in 'Nebenstunden' in Betracht
kam. Wahrscheinlich trug Goethe mehr oder weniger vage bereits den Gedanken,
irgendetwas außerhalb Frankfurts, vielleicht in Weimar zu tun, aber
eine klare Perspektive gab es auch da noch nicht. Er wartete also und wußte
nicht einmal, worauf. Als die Grafen Stolberg mit dem Baron Haugwitz in
Frankfurt auf ihrer Reise in die Schweiz in Frankfurt vorbeikamen, war
der Entschluß schnell gefaßt: Er schloß sich ihnen an.
So sieht die Chronik der Reise aus:
14. Mai Aufbruch. 14.-23. Mai Darmstadt,
Heidelberg, Karlsruhe (hier Prinzessin Luise von Darmstadt und Carl August),
Straßburg, Wiedersehen mit Lenz; 28. Mai-6. Juni Emmendingen bei
Cornelia und Schlosser. 9.-15. Juni Zürich. Am 22. Juni auf dem Gotthard.
25.Juni-6. Juli erneut Zürich; Rückweg über Basel, Straßburg
(12.-19. Juli), Bekanntschaft mit J. G. Zimmermann, Ankunft in Frankfurt
22. Juli.
Am 15. Juni schrieb
Goethe die folgenden Verse in sein Notizbuch:
 |
Ein ieder der schreibet in dieses
Buch
Mag zum Teufel schicken mit einem
Fluch
Wenn ihn einer nicht will lassen
Gahn
Nach seinem Sinn und Herzens Wahn.
<Auf dem See>
//
Ich saug an meiner Nabelschnur
Nun Nahrung aus der Welt.
Und herrlich rings ist die Natur
Die mich am Busen hält.
Die Welle wieget unsern Kahn
Im Rudertackt hinauf
Und Berge Wolcken angethan
Entgegnen unserm Lauf.
//
Aug mein Aug was sinkst du nieder
Goldne Träume kommt ihr wieder
Weg du Traum so Gold du bist
Hier auch Lieb und Leben ist.
Auf der Welle blinken
Tausend schwebenden Sterne
Liebe Nebel trinken
Rings die türmende Ferne
Morgenwind umflügelt
Die beschattetete Bucht
Und im See bespiegelt
Sich die reifende Frucht
|
Die ersten vier Zeilen
sind 'bouts rimés'. Das ist ein Gesellschaftsspiel, bei dem Reimpaare
vorgegeben werden, die der jeweils nächste in der Reihe dann mit leidlich
sinnvollen Versen ausfüllen soll. Wir dürfen uns also mit
einigem Recht vorstelle, daß Goethe die Zeilen spontan auf dem See
niedergeschrieben hat.
Auf einer anderen Seite
trug er einen Erinnerungsreflex an Lili ein:
Vom Berge in die See
Vid. das Privat Archiv des Dichters
Lit. L. [Buchstabe L., wie Lili]
Wenn ich liebe Lili dich nicht liebte
Welche Wonne gäb mir dieser
Blick
Und doch wenn ich Lili dich nicht
liebt
Wär! Was Wär mein Glück.
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