Straßburger Erkundungen I: Landschaft und Volkslied

Straßburg galt als Vorort von Paris. Für jeden gebildeten Menschen des ancien régime, Adligen wie ambitionierten Bürgerlichen, gehörte ein Aufenthalt in Paris zum obligatorischen Ausbildungspensum, und Straßburg war eine Art Trainingsplatz, an dem man seine Fähigkeiten in Sprache, Tanz und sonstiger Lebensart für den großen Auftritt ausbilden konnte. Wenn Johann Caspar Goethe seinen Sohn zum Abschluß des Jura-Studiums nach Straßburg schickte, dann geschah es in dieser Absicht, ihn auf Paris und auf ein Amt im Staate vorzubereiten.

Goethe nahm Straßburg und das Elsaß jedoch anders wahr. Aus der Rückschau berichtet er, daß er zuerst das Münster bestiegen habe:

Und so sah ich denn von der Platt-Form die schöne Gegend vor mir, in welcher ich eine Zeit lang wohnen und hausen durfte: die ansehnliche Stadt, die weitumherliegenden, mit herrlichen dichten Bäumen besetzten und durchflochtenen Auen, diesen auffallenden Reichthum der Vegetation, der dem Laufe des Rheins folgend, die Ufer, Inseln und Werder bezeichnet. Nicht weniger mit mannigfaltigem Grün geschmückt ist der von Süden herab sich ziehende flache Grund, welchen die Iller bewässert; selbst westwärts, nach dem Gebirge zu, finden sich manche Niederungen, die einen eben so reizenden Anblick von Wald und Wiesenwuchs gewähren, so wie der nördliche mehr hügelige Theil von unendlichen kleinen Bächen durchschnitten ist, die überall ein schnelles Wachsthum begünstigen. Denkt man sich nun zwischen diesen üppig ausgestreckten Matten, zwischen diesen fröhlich ausgesäeten Hainen alles zum Fruchtbau schickliche Land trefflich bearbeitet, grünend und reifend, und die besten und reichsten Stellen desselben durch Dörfer und Meyerhöfe bezeichnet, und eine solche große und unübersehliche, wie ein neues Paradies für den Menschen recht vorbereitete Fläche, näher und ferner von theils angebauten, theils waldbewachsenen Bergen begrenzt; so wird man das Entzücken begreifen, mit dem ich mein Schicksal segnete, das mir für einige Zeit einen so schönen Wohnplatz bestimmt hatte.

Später, als er Herder begegnet war, begann die Landschaft auch zu sprechen. Nach Frankfurt zurückgekehrt schickt er dem großen Anreger eine Sammlung mit Volksliedern:

... ich habe noch aus Elsas zwölf Lieder  mitgebracht, die ich auf meinen Streiffereyen aus denen Kehlen der ältsten Müttergens aufgehascht habe. Ein Glück! denn ihre Enckel singen alle: ich liebte nur Ismenen. Sie waren Ihnen bestimmt; Ihnen allein bestimmt; so dass ich meinen besten Gesellen keine Abschrifft auf's dringendste Bitten erlaubt habe. Ich will mich nicht aufhalten, etwas von ihrer Fürtrefflichkeit, noch von dem Unterschiede ihres Wehrtes zusagen. Aber ich habe sie bissher als einen Schatz an meinem Herzen getragen, alle Mädgen die Gnade vor meinen Augen finden wollen, müssen sie lernen und singen.
 

 Das Lied vom verkleideten Grafen

 Es werbt ein iunger Grafen Sohn
 Um's Königs seine Tochter,
 Er werbt drey Tag und sieben Jahr'
 Und konnt sie nicht erwerben.

 Und da sie sieben Jahr ummer waren,
 Ein Brieflein thut sie schreiben,
 Leg du dir weibisch Kleiderlein an,
 Flecht dir dein Haar in Seiden

 Er reit vor seiner Schwester Tühr,
 Schwester bist du darinne.
 Ach leih mir deinen braun Seidenen Rock,
 Flecht mir mein Haar in Seide.

 Sie legt sichs aus, und ziehts ihm an
 Flecht ihm sein Haar in Seide
 Sie legt ihm ein Silber gesteckmesserle dran
 Er reit wohl über grün Haide.
 

Als wandernde Jungfrau verkleidet erhält der Grafensohn schließlich Einlaß in Schloß, Kammer und Bett des Königtöchterleins. Ausnahmsweise endet die Geschichte glücklich: Der König ertappt die beiden zwar, aber das Töchterchen meint:
 Ach Papa lieber Papa mein
 Lass uns nur beyde gewähren
 Gott ernährt so manchen Vogel in der Lufft
 Er wird uns auch ernähren.

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