Abschied von Frankfurt. Ich möcht nicht gern vergessen sein.

An seinem Geburtstag, wenige Wochen vor der Abfahrt zum Studium nach Leipzig (30. September 1765), trug der eben Sechzehnjährige die nebenan und unten stehenden Verse in das Stammbuch des Freundes Maximilan Moors ein. Der erste Teil ist eine 'Priamel', d. h. eine scherzhafte Vorrede, die nach umständlicher Aufzählung ähnlicher Sachverhalte schließlich zu einer pointierten Auflösung kommt - hier eine ironische Auflösung der zeitgenössischen Lehre, daß unsere Welt die beste aller möglichen Welten sei.
 
Dieses ist das Bild der Welt,
Die mann für die beste hält;
Fast, wie eine Mördergrube,
Fast, wie eines Burschen Stube,
Fast so, wie ein Opernhauß,
Fast, wie ein Magisterschmauß,
Fast, wie Köpfe von Poeten.
Fast, wie schöne Raritäten,
Fast, wie abgeseztes Geld,
Sieht sie aus die beste Welt.

Vielleicht ist diese Partie in Zierschrift gar nicht von Goethe selbst geschrieben. Denn nun folgt, schon im typisch Goethischen Schreibduktus, das eigentliche Abschiedsgedicht. Dem Stilprinzip des 'Witzes' folgend verknüpft Goethe seinen Alexanderzug in den Osten, zur Universität Leipzig, mit dem Wunsch nach Autorenruhm. Die Unterschrift, "d. S. W. Liebhaber.", weist jedoch auf einen Konflikt hin: Er wollte eigentlich lieber an der Universität Göttingen die "schönen Wissenschaften" studieren. Aber der Vater wies ihm das Jurastudium in Leipzig an - gewiß keine schlechte Entscheidung; denn das Studium der Rechte war im absolutistischen Staat eine besonders gute Voraussetzung für einen Bürgerlichen, der Karriere machen wollte. Auch Goethe zog Nutzen daraus, denn ohne das Rechtsstudium wäre er später in Weimar auf verlorenem Posten gestanden. Jetzt aber sieht er nicht ohne Traurigkeit, daß er nur ein 'Liebhaber' der schönen Wissenschaften wird sein können.

Risum teneatis amici! [Verkneift Euch das Lachen, Freunde!]
                    Horatius [De arte poetica]

Es hat der Autor wenn er schreibt
So was gewisses das ihn treibt
Der Trieb zog auch den Alexander
Und alle Helden mit einander,
Drum schreib ich auch allhier mich ein:
Ich möcht nicht gern vergessen seyn.
Frankfurt am Mayn
d. 28. Aug.                      Goethe
1765                       d. S. W. Liebhaber
 


 

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