Im Herders Shakespeare-Aufsatz ereignete sich am Ende eine geradezu atemberaubende Szene (ein genialer Fall von Buchpromotion): Nach einem gewaltigen Lobpreis des Shakespeare beklagt Herder, daß auch dieses Genie uns immer ferner werde und veralte - und preist als das neue Genie seinen Freund Goethe:
Trauriger und wichtiger wird der Gedanke,
daß auch dieser grosse Schöpfer von Geschichte und Weltseele
immer mehr veralte! daß da Worte und Sitten und Gattungen der Zeitalter,
wie ein Herbst von Blättern welken und absinken, wir schon jetzt aus
diesen grossen Trümmern der Ritternatur so weit heraus sind, daß
selbst Garrik, der Wiedererwecker und Schutzengel auf seinem Grabe, so
viel ändern, auslaßen, verstümmeln muß, und bald
vielleicht, da sich alles so sehr verwischt und anders wohin neiget, auch
sein Drama der lebendigen Vorstellung ganz unfähig werden, und eine
Trümmer von Kolossus, von Pyramide seyn wird, die Jeder anstaunet
und keiner begreift. Glücklich, daß ich noch im Ablaufe der
Zeit lebte, wo ich ihn begreifen konnte, und wo du, mein Freund, der du
dich bei diesem Lesen erkennest und fühlst, und den ich vor seinem
heiligen Bilde mehr als Einmal umarmet, wo du noch den süssen und
deiner würdigen Traum haben kannst, sein Denkmal aus unsern Ritterzeiten
in unsrer Sprache, unserm so weit abgearteten Vaterlande herzustellen.
Ich beneide dir den Traum, und dein edles Deutsches Würken laß
nicht nach, bis der Kranz dort oben hange. Und solltest du als denn auch
später sehen, wie unter deinem Gebäude der Boden wankt, und der
Pöbel umher still steht und gafft, oder höhnt, und die daurende
Pyramide nicht alten Ägyptischen Geist wieder aufzuwecken vermag -
dein Werk wird bleiben, und ein treuer Nachkomme dein Grab suchen, und
mit andächtiger Hand dir schreiben, was das Leben fast aller Würdigen
der Welt gewesen:
Voluit! quiescit!
Im Monat darauf wird Götz von Berlichingen
erscheinen.