Auguste

Merkwürdig: Wir haben kein Bild von Auguste Louise, Gräfin zu Stolberg-Stolberg (1753-1835), der Schwester der Grafen Christian und Friedrich Leopold. Damals war sie Stiftsdame in Uetersen, später heiratete sie den Grafen Bernstorf. Sie hatte sich bei Boie über den Werther-Dichter erkundigt und diesem im Januar 1775 anonym geschrieben. Goethe hat sie nie gesehen, aber(?) sie war die Empfängerin seiner exaltiertesten, bekenntnishaftesten Briefe. Und ein Bild wenigstens verdanken wir ihr: Eine Zeichnung seiner Frankfurter Stuibe, die er einem Brief beigelegt hatte.
Es ist Nacht, ich wollte noch in Garten, musste aber unter der Thüre stehen bleiben, es regnet sehr. Viel hab ich an Sie gedacht! Gedacht dass ich für Ihre Silhouette noch nicht gedanckt habe! Wie offt hab ich schon dafür gedanckt, wie ist mein und meines Bruder Lavaters Phisiognomischer Glaube wieder bestätigt. Diese rein sinnende Stirn diese süsse Festigkeit der Nase, diese liebe Lippe dieses gewisse Kinn, der Adel des ganzen! dancke meine Liebe dancke. - Heut war der Tag wunderbaar. habe gezeichnet - eine Scene geschrieben [Stella? Faust?]. O wenn ich iezt nicht dramas schriebe ich gieng zu Grund. Bald schick ich Ihnen eins geschrieben - Könnt ich gegen Ihnen über sizzen, und es selbst in Ihr Herz wurcken, - Liebe nur dass es Ihnen nicht aus Händen kommt. Ich mag das nicht drucken lassen denn ich will, wenn Gott will künftig meine Freu[den] [HA und FL; WA und Morris: Frauen] und Kinder, in ein Eckelgen begraben oder etabliren, ohne es dem Publiko auf die Nase zu hängen. Ich bin das ausgraben, und seziren meines armen Werthers [Die Leiden des jungen Werthers] so satt. Wo ich in eine Stube trete find ich das Berliner ppp Hundezeug, der eine schilt drauf, der andre lobts, der dritte sagt es geht doch an, und so hezt mich einer wie der andre. - Nun denn Sie nehmen mir auch das nicht übel - Nimmt mirs doch nichts an meinem innern Ganzen, rührt und rückts mich doch nicht in meinen Arbeiten, die immer nur die aufbewahrten Freuden und Leiden meines Lebens sind - denn ob ich gleich finde dass es viel raisonnabler sey Hünerblut zu vergiessen [wie in Nicolais "Werther"] als sein eignes - die Kinder tollen über mir, es ist mir besser ich geh hinauf als zu tief in Text zu gerathen.
Ich hab das ältste Mädgen lassen anderthalb Seiten im Paradiesgärtlein [Erbauungsbuch von Johann Arndt] herab buchstabiren, mir ist ganz wohl, und so gesegnete Mahlzeit. Ade! - Warum sag ich dir nicht alles - Beste - Geduld Geduld hab mit mir!
// Den 10ten, wieder in der Stadt auf meiner Bergere, aufm Knie schreib ich Ihnen. Liebe der Brief soll heute fort, und nur sag ich Ihnen noch dass mein Kopf ziemlich heiter mein Herz leidlich frey ist - Was sag ich -! o beste wie wollen wir Ausdrücke finden für das was wir fühlen! Beste wie können wir einander was von unserm Zustande melden, da der von Stund zu Stund wechselt.
Ich hoffe auf einen Brief von Ihnen, und die Hoffnung lässt nicht zu schanden werden.
Geseegnet der gute Trieb der mir eingab statt allen weitern Schreibens, Ihnen meine Stube, wie sie da vor mir steht, zu H zeichnen. Adieu. Halten Sie einen armen iungen am Herzen. Geb Ihnen der gute Vater im Himmel viel muthige frohe Stunden wie ich deren offt hab, und dann lass die dämmrung kommen, tränenvoll und seelig - Amen
Ade liebe Ade!
Goethe

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