Friedrich Heinrich Jacobi

"Wir liebten uns, ohne uns zu verstehen". So faßte Goethe in den "Tag- und Jahresheften" für 1805 sein Verhältnis zu Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819) zuammen. Jacobi war Kaufmann, Dichter, Philosoph in Düsseldorf, Mitarbeiter an Wielands 'Teutschem Merkur', dann Herausgeber der 'Iris', einer 'Zeitschrift für Frauenzimmer'. Goethe lehnte ihn zunächst heftig ab, bei der Rheinreise kam es am 22. Juli zur ersten Begegnung, die in einen enthusiastischen Freundschaftsrausch mündete. 1779 kommt es zu einer starken Entfremdung, als Goethe Jacobis Roman "Woldemar" in Weimar öffentlich verunglimpft. Zögernde Wiederannäherung in den 80er Jahren, erneute familiäre Herzlichkeit seit Goethes Besuch in Pempelfort im Anschluß an die Campagne in Frankreich 1792. Definitive Entfremdung nach dem Erscheinen von Jacobis Schrift "Von den göttlichen Dingen" 1811.

[Frankfurt, 21. August 1774]
Nach frugalem Abendbrodt, auf meinem Zimmer, schreib ich dir noch auf der Serviette, mein Schöppgen Wein vor mir. Nach einem dürren Nachmittag, dein Brief, und hundert Ideen in Cirkulation. Akademie ist Akademie [Bezug nicht bekannt], Bohlheim Berlin oder Paris, wo die satten Herren sitzen, die Zähne stochern und nicht begreifen warum kein Koch das bereiten kann das ihnen behage. Du bist grob mit ihnen umgangen, hat dirs doch wohl gethan, und ist eines braven Jungens etwas wohl über die Schnur zu hauen zu Schirm des Mädgens, das ihm alles gab was es hatt, und dem rüstigen Knaben Freud genung, frisch iunges warmes Leben. Ich hab mich mit dem Mährgen [Kenner und Enthusiast] die ganze Woch getragen als hätts mir geahndet, und ist schön dass es so eintraff. Wie ich so das hochadliche Urteil ablas, stellte ich an meiner Statt einen guten Kerl hin, der vors Publikum geschrieben hätte, elementarisch, pracktisch, prophetisch, zur Besserung Herzens, Verstandes u Wizzes, hätte nun sich dahin gegeben mit Leibs und Geisteskrafft, u. die Herrn für allen Danck fändens unter der Erwartung, Erwartung dem Narren dem wie bekannt unser Herr Gott selbst nichts zu dancke machen kann.
Sieh lieber, was doch alles schreibens anfang und Ende ist die Reproducktion der Welt um mich, durch die innre Welt die alles packt, verbindet, neuschafft, knetet und in eigner Form, Manier, wieder hinstellt, das bleibt ewig Geheimniss Gott sey Danck, das ich auch nicht offenbaaren will den Gaffern u. Schwäzzern.
Ich wollt ich könnt so gegen dir über sizzen und noch Einen [Heinse?] dazu, ich hab so tausend Sachen auf dem Herzen. Indess ist das gestückte Geschreib auch was. Dass mich nun die Memoires des Beaumarchais de cet avanturier François freuten, romantische Jugendkrafft in mir weckten, sich sein Chara[ck]ter seine Taht, mit Charackteren und Thaten in mir amalgamirten, und so mein Clavigo [Clavigo] ward, das ist Glück, denn ich hab Freude gehabt drüber, und was mehr ist ich fordre das kritischte Messer auf die blos übersezten Stellen abzutrennen vom Ganzen, ohn es zu zerfleischen, ohne tödliche Wunde |:nicht zu sagen der Historie:| sondern der Strucktur, Lebens organisation des Stücks zu versezzen! Also - Was red ich über meine Kinder, wenn sie leben; so werden sie fortkrabeln, unter diesem weiten Himmel. Aber wer auch fürs Publikum Kinder machte! damit er hörte que ce cul est tiré en partie du Huron Mr d. Voltaire. Aber ich bitte dich lass mir die Menschen, die sind vor mir gestempelt, und die wird Merkurius und Iris nicht wiedergebähren so wenig als der Bär [Breitkopfs Verlagssignet] auf den Schrifften Gottschedischen aevi!
Offt wohn ich mit Jappachs [Jabach] Geist, und ich bitte dich dass du's verborgen haltest vor mir; wenn der gute Krah, [Krahe] wohlmeynend das Heiligtuhm seines Gottes beraubt pour le mettre aux pieds de son Altesse°.
Werthes ist ein gar guter Junge, und die Art wie er sich in die Chinoises und Sofas schicken thut, ist so menschlich.
Ich wünschte Rost regalirte mich mit einem Mährgen dessen Stoff wäre wollüstig ohne geil zu seyn, dessen Ausdruck wäre, ohne Wielandische Mythologie i. e. ohne Hippiasse und Danaes, die ich sehr müd bin, und ohne Allusion auf alte Schrifftsteller. Thät das Rost mich würds sehr freuen, sag's ihm doch, dagegen soll er sich auch was in meiner Dichtart u Krafft vorstellen das er gerne von mir sähe.
Du kriegst bald kleine Sachen von mir wie ich sie finde, es liegt allerley hier und da.
Jung ist nicht der erste der zweifelt ob das Stück [Clavigo?] von mir ist? Immer zu. Ich hoffe auf gute Tage wieder eins zu machen, und wieder so ohne Rücksicht, obs schaden möge meinem Rhum oder aufhellen pp den 21 Aug. den 28 ist mein Geburtstag, gönn ihm ein Andencken.
Ich lese deine Epistel an die Akademisten noch einmal, entfalte mein Brieflein noch einmal dir zu sagen: dass zwar herrlich ist selbstständig Gefühl, dass aber antwortend Gefühl würckender macht ist ewig wahr, und so danck deinem guten Geist und so wohl unsern Geistern dass sie sich gleichen. Gute Nacht.

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