Reise mit Lavater

Im Juni 1774 brach der Zürcher Pastor und Schriftsteller Johann Caspar Lavater zu einer Reise nach Deutschland auf, um seine angegriffene Gesundheit in einem der rheinischen Bäder zu kurieren und bei dieser Gelegenheit seinen vielen Brieffreunden, Verehrern und Verehrerinnen  Gelegenheit zur persönlichen Bekanntschaft zu geben. Fünf Tage hält er sich in Frankfurt bei Goethe auf, dann  fährt er mit ihm nach Bad Ems. Am 18. 7. bricht man gemeinsam - u. a. Lavater, der Pädagoge Basedow, der Maler Schmoll und Goethe - zu einer Rheinreise auf:  die Lahn abwärts, an Ehrenbreitstein und Koblenz vorbei (Goethe macht einen kleinen Abstecher zu Fuß nach Vallendar,  um dort Luise La Roche zu besuchen) nach Köln, wo man sich am 20. vorläufig trennt. Goethe reist über Düsseldorf weiter nach Elberfeld, wo er mit dem Straßburger Freund Jung-Stilling zusammentrifft und F. H. Jacobi persönlich kennenlernt. Mit den Jacobi-Brüdern war er bis dahin auf sehr gespanntem Fuße gestanden, doch nun kommt es zu einer stürmischen Verbrüderung mit Friedrich Heinrich und bei einem anschließenden Düsseldorf-Aufenthalt zur Aussöhnung mit Johann Georg.
Heute ein paar Worte über Goethes Verhältnis zu Lavater, das nächste Mal zu Jacobi:
Nie ließ Goethe Zweifel daran, daß er dem religiösen Schwärmertum  des 'lieben Gottesschwätzers' (Herder) nicht folgen konnte und wollte. Und doch ist Lavater noch 1779 für ihn der "beste größte weiseste innigste aller sterblichen und unsterblichen Menschen die ich kenne".  (An Charlotte von Stein) Lavater hatte offenbar seine Freude an der Zuneigung wie am Spott seines jungen Freundes und hegte die Hoffnung, ihn doch noch auf die Seite des wahren Glaubens  zu bringen. Doch dieser Schwebezustand von Liebe im Persönlichen  und Distanz im Ausdrücklichen konnte nicht von Dauer  sein. Lavaters Sucht, in Wundern empirische Zeugnisse seines Christus-Glaubens aufzufinden, führte ihn in die  Nähe der großen Schwindler seiner Zeit, des Teufelsbanners Gaßner oder Cagliostros. Nach der Italienreise gehört Lavater für Goethe zur Klasse der betrogenen Betrüger.
Von der Rheinreise aber ist ein sehr persönliches Zeugnis der Gemeinsamkeit erhalten, ein Brieftagebuch, das Lavater für seine Familie führte, und in dem unter anderem verzeichnet ist, wie Goethe und Lavater am Morgen nach dem Erwachen die Tapeten ihres Zimmers mit Gedichten vollschmieren! Lavater hatte eben ein sehnsuchtsvolles Gedicht an Weib und Kinder gerichtet, und nun diktiert ihm Goethe:

Goethe dictirt weiter.
II. Sura <nach Lavaters Gedicht, der 'ersten Sure'>
Es ist so viel Heimweh in der Welt, daß eins dem andern die Wage halt.
Da streckt er sich in seinem Bett - denkt, o daß ich mein weibchen hätt'.
Ich kröne <gräme> mich in meinem Sinn; fort ist die gute Mayerin!
Doch hoffen wir wieder Mayenfreüd,
Er lehret, u: bekehrt die Leüt'
Ich fahr zum schönen Liesel heüt;
<Satz von fremder Hand:> Er Hr. Verfaßer ist noch ein wilder Vogel den Gott ganz anders wird Pfeiffen lernen.
explicit Sura.

Nach Abschiedsvisiten - - beym Dr. Kämpf, wollte nichts von mir nehmen - (gab in die Apotheck 1 Thlr.) Posthalter - Brief noch v. Jgfr. Muralt v. Zofingen! - gite Seele -

Goethe
schrieb an die Wand.

wenn du darnach was fragst,
wir waren hier,
du, der du nach uns kommen magst,
hab wenigstens so frisches Blut
5 u: sey so leidlich, fromm und gut
 u: leidlich glücklich, als wie wir!
Den 18jul. 74. Goethe.
 
 

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