Klein Paris II: Annette

Anna Katharina Schönkopf war die Tochter eines Zinngießers, dessen Frau einen Mittagstisch für Studenten und Akademiker unterhielt. Seit Ostern 1766 speiste auch Goethe dort und verliebte sich unsterblich in das Mädchen. Sie war allerdings drei Jahre älter als er, mußte nach den Sitten der Zeit zusehen, daß sie bald unter die Haube kam, und da kam der junge Jurastudent nicht ernsthaft in Frage. Grund genug für manche Eifersuchtspein (die ihren heiteren Niederschlag im Schäferspiel Die Laune des Verliebten fand):
 

Käthchen Schönkopf im Festtagsstaat - vielleicht, denn die Provenienz des Bildes ist nicht recht gesichert. 

Ich fand ihre Loge. Sie saß an der Ecke, neben ihr ein kleines Mädgen, Gott weiß wer, dann [der Bruder] Peter, dann die Mutter. - Nun aber! Hinter ihrem Stuhl Herr Ryden, in einer sehr zärtlichen Stellung. Ha! Dencke mich! Dencke mich! auf der Gallerie! mit einem Fernglaß -, das sehend! Verflucht! Oh Behrisch ich dachte mein Kopf spränge mir für Wuht. Mann spielte Miss Sara. Die Schulzen machte die Miss, aber ich konnte nichts sehen, nichts hören, meine Augen waren in der Loge, und mein Herz tanzte. Er lehnte sich bald hervor, daß das kleine Mädgen das neben ihr saß nichts sehen konnte. Bald trat er zurück, bald lehnte er sich über den Stuhl und sagte ihr was, ich knirschte die Zähne und sah zu. Es kamen mir Tränen in die Augen, aber sie waren vom scharfen sehen, ich habe diesen ganzen Abend noch nicht weinen können. - Hernach dacht ich an dich, ich schwöre es dir, an dich, und wollte nach Hause gehn, und dir schreiben, und da hielt mich der Anblick wieder, und ich blieb. Gott, Gott! Warum mußte ich sie in diesem Augenblicke entschuldigen. Ja das taht ich. Ich sah wie sie ihm ganz kalt begegnete, wie sie sich von ihm wegwendete, wie sie ihm kaum antwortete, wie sie von ihm importunirt schien. Das alles glaubte ich zu sehen. Ah mein Glas schmeichelte mir nicht so wie meine Seele, ich wünschte es zu sehen! O Gott und wenn ich's würcklich gesehen hätte, wäre Liebe zu mir nicht die letzte Ursache, der ich dieses zuschreiben sollte.
So schreibt er an den zehn Jahre älteren Ernst Wolfgang Behrisch, den Hofmeister des Grafen Lindenau. Behrisch war sein Mentor in der Leipziger Zeit, Vertrauter in der Beziehung zu Käthchen, Fachmann in Fragen des eleganten Lebens und der Poesie. Von Behrischs Hand stammt auch die erste erhaltene Sammlung mit Gedichten Goethes, das Büchlein Annette. Es sind poetische Miniaturen im Rokoko-Stil, kleine meist scherzhafte Werklein, wie sie der Gesellschaftskunst der Zeit entsprachen. Gerade von ihnen aber schrieb Goethe später:

Und so begann diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Leben über nicht abweichen konnte, nämlich dasjenige was mich erfreute oder quälte, oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein Gedicht zu verwandeln und darüber mit mir selbst abzuschließen, um sowohl meine Begriffe von den äußeren Dingen zu berichtigen, als mich im Innern deshalb zu beruhigen.
 


       Annette an ihren Geliebten

Ich sah wie Doris bey Damöten stand,
Er nahm sie zärtlich bey der Hand;
Lang sahen sie einander an;
Und sahn sich um, ob nicht die Aeltern wachen,
Und da sie niemand sahn,
Geschwind - Genug sie machtens, wie wirs machen.
 

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