Lili

"... sie war die erste, die ich tief und aufrichtig liebte, vielleicht war sie auch die letzte", so sagte der Alte am 5. 3. 1830 zum Prinzenerzieher Soret, ganz unter dem Eindruck der Erinnerungen, die mit der Darstellung seines Verhältnisses zu Anna Elisabeth Schönemann (1758-1817) für das vierte Buch von Dichtung und Wahhrheit verbunden waren. Ferner: "Nie war ich dem Glück so nahe ... ja, ich liebte sie ebensosehr wie sie mich; auch stand kein unübersteigliches Hindernis unserer Verbindung im Wege, und doch konnte ich sie nicht heiraten." - Warum nicht?
    Unbezweifelbar bezeugt ist, daß der Lebenskreis Lilis, die großürgerliche Bankiersfamilie, manchen quälenden Aspekt für Goethe hatte. Eine anderes Ptrolem war sicher, daß der junge Rechtsanwalt keine so gute Partie war, wie man sie für Lili brauchte: Das Bankhaus kränkelte. Nur in Offenbach, bei den d'Orvilles, den Verwandten Lilis, herrschte offenbar eine Atmosphäre, die Goethe zusagte. Ganz unbewölkt war der Himmel auch dort nicht. Es ist ein Briefgedicht erhalten, das Goethe offenbar an einem Sonntag aus Frankfurt schrieb, nachdem er im Zorn aus Offenbach davongelaufen war, und in dem er nun mit allen Registern seiner Liebenswürdigkeit um gut Wetter bittet:
 
 
 Lieber Herr Dorwille liebe Frau
 Ich bitt euch nehmts nicht so genau;
 Ihr kennt nun doch einmal den Affen,
 Wisst ist nichts gescheuts mit ihm zu schaffen.
 Laufft da, was kann wohl tollers seyn!
 Wie Kain° in die Welt hinein.
 Dafür sizt er auch auf dem Sand,
 Die Stadt ist ihm ein ödes Land,
 Und ist ihm halt die Welt so leer,
 Als wenn er erst 'nein gekommen wär.
 Ihm ist so weh, er schauet nicht
 Des liebsten Buben Angesicht,
 Hängt nicht dem Mann um Hals u. Leib,
 Küsst nicht das liebe treue Weib,
 Spaziert nicht mehr im Frauenschlepp,
 Und hört ach nicht mehr das Beb! Bepp!
 Was hilft mir nun das Glockengebrumm
 Das Kutschengerassel, und Leut Gesumm!
 Was thät ich in der Kirche gar?
 Da ich schon einmal im Himmel war,
 Ich Hand in Hand mit Engeln sas,
 Mich in dem Himmels blau vergass,
 Das aus dem süsen Auge winckt,
 Drinn Lieb und Treu wie Sternlein blinckt.
 Was hört ich an des Pfarrers Lehr
 Die doch nicht halb so kräfftig wär
 Als wenn ihr Mündlein lieb und mild
 Mich über Fluch und Unart schilt.
 Was lachst du Sonne daherein?
 Ich bitte dich lass mich allein.
 Du lächelst ihren Laden an,
 Der heut mir nicht wird aufgethan.
 Aha! Du bist so freundlich hier,
 Blickst durch die Rizzen schlau nach ihr,
 Und meynst du hättst wohl nie so schön
 Dadroben einen Engel ruhen sehn.
 Der Tag rückt weiter nun heran
 Besuch! - Ach was geht der mich an!
 Ich bilde mir so freundlich ein,
 Ich säs noch draus mit euch allein.
 Der Mann raucht seine Pfeif Toback,
 Man fuschelt in dem Arbeitssack,
 Man wickelt Seide, es lässt sich an
 Als würden Wunderstreich gethan.
 Ein Medizinisch Dejeuné,
 Mit Selzer Wasser und Caffee;
 Nach Fastenbrezeln wohlgeschmiert,
 Kommt Haas und Wein hereinspaziert.
 Lili muss ieden Lusten stillen,
 Das all um ihres Magens willen.
 Die Kinder kommen angehuppt,
 Mann wird zur Thüre 'naus geschwuppt!
 Ist allen so wohl ohn Unterlass;
 Ach lieber Gott, mir auch so was!
 Frau Dorwille wo mag Lili seyn?
 Ist sie in ihrer Stub allein? -
 Sie hat die Stirn in ihrer Hand!
 Was ist ihr in dem Freuden land?
 Soll das ein böses Kopfweh seyn?
 Oder ach! ist's etwan andre Pein?
 Geh liebes Mufti, ich bitte dich,
 Klettr' ihr auf den Schoos, küss sie für mich.
 Schei[c]h Daher, Hanne Buzzi du
 Küss ihr die Hand, lass ihr nicht Ruh.
 Mach Ali Bey dich auch an sie,
 Schmieg dich ihr liebend an das Knie.
 Und Abu Dahab komm getrollt,
 Sey freundlich biss sie sagt: Du Gold!
 Dich herzlich auf dem Arme küsst,
 Und hoffend allen Schmerz vergisst.
 Der alte Friedrich kommt und fragt:
 Was heut den Damen wohl behagt?
 Er soll Kapaun und Wildpret tragen!
 Lili hast du ihm nichts zu sagen?
 Schon wart ich auf das alte Gesicht,
 Ich bin untröstlich kömmt er nicht.
 War der Herr Docktor noch nicht da?
 Sang Andre noch kein Trallallra?
 Oho dadraus gehts bunt ia her
 Als ob der Teufel ledig wär.
 Eins, zwey, drey! Kling! Klang! Krack! en garde
 Kling! Rompes! Klang! paies ma quarte.
 So mag es wohl dem Teufel seyn
 Wenn er in seiner Höll allein
 Nach Himmels Freuden seufzt u. klagt
 Dass ihn der Unmuth r' ausgejagt.
 Doch hab ich weit ein besser Loos,
 Die Klufft ist lange nicht so gros;
 Bin euch mit Leib und Seele nah
 Pliz! Plaz! So bin ich wieder da
Goethe
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