Ortsbestimmungen. Satiren


Concerto dramatico
composto dal Sigr Dottore
Flamminio
detto Panurgo secondo

Aufzuführen in der Darmstädter Gemeinschafft der Heiligen.

Tempo giusto
      Die du steigst im Winterwetter
      Von Olympus Heiligtuhm
      Tahtenschwangerste der Götter
      Langeweile! Preis und Ruhm
      Danck dir! Schobest meinen Lieben
      Stumpfe Federn in die Hand
      Hast zum schreiben sie getrieben
      Und ein Freudenblatt gesandt.
Allegretto. 3/8
      Machst Jungfrau zur Frauen
      Gesellen zum Mann
      Und wärs nur im Scherze
      Wer anders nicht kann.
      Und sind sie verehlicht
      Bist wieder bald da,
      Machst Weibgen zur Mutter
      Monsieur zum Papa.
 Arioso
      Gekaut Papier! Sollts Junos Bildung seyn!
      Gar grosen Danck! Mag nicht Ixion seyn.
 Allegro con furia
      Weh! weh! Schrecken und Todt
      Es droht
      Herein der iüngste Tag im brausen

Das ist der Anfang einer Satire von der liebenswürdigen Sorte. Goethe schickte das Briefgedicht Anfang 1773 aus Frankfurt zu den Darmstädter Freundinnen und Freunden, machte sich anscheinend über einen Sammelbrief lustig, dem eine Figur aus Pappmaschee beilag und in dem man anfragte, ob er nicht allmählich ans Heiraten denke.
       Es gibt fast nichts, was dem jungen Goethe nicht Gegenstand der Satire wird. Selbst den eigenen Werther wird er in der Szenensammlung Hanswursts Hochzeit aufs übelste mißhandeln. Da sagt Hanswurst vor seiner Hochzeit:

Mir ist das liebe Wertherische Blut
Immer zu einem Probirhengst gut
Den lass ich mit meinem Weib spazieren
Vor ihren Augen sich abbranliren *

Und hinten drein komm ich bey Nacht
Und vögle sie dass alles kracht
Sie schwaumelt oben in höhern Sphären
Lässt sich unten mit Marcks der Erde nähren
Das giebt Jungs Leibseelig brav
Allein macht ich wohl ein Schweinisch Schaf.

Das Fastnachtsspiel vom Pater Brey und Satyros oder der vergötterte Waldteufel (beide vermutlich 1773) nehmen den Empfindsamkeitskult aufs Korn, der zu manchen Gefühlswirrungen führte. Beide konzentrieren sich schon auf einen Figurentypus, der in der Sturm-und-Drang-Welt besonders gedeihen konnte und den Goethe dann wieder im Umkreis der Revolution ausmachte: den Scharlatan.
         Zugleich dient die Satire der Außenabgrenzung. Schönborn schreibt am 12. 10. 1773 an Gerstenberg von einem Besuch bei Goethe: "Er ist ein fürchterlicher Feind von Wieland et Consorten. Er las mir ein paar Farcen, die er auf ihn [Götter Helden und Wieland] und Jacobi [Das Unglück der Jacobis] gemacht, wo beide ihre volle Ladung von Lächerlichem bekommen. Das will er aber nicht drucken lassen. Allein weh Wielanden, wenn er sich mausig gegen ihn macht!" Als die Wieland-Satire dann doch gedruckt wird, findet sie selbst bei den Freunden nur gemischten Beifall. Christian Friedrich Daniel Schubart, selbst Goethe-Verehrer, meint: "Nicht als wenn diese Posse schlecht geschrieben wäre; nein! ein Meisterstück ist sie, und niemand kann so dialogisiren, als der Verfasser des Götz von Berlichingen. Nur der Angriff auf unsern Wieland, dem wir in aller Absicht so viel zu danken haben, mißfällt mir. ... Leider muß ichs sagen! Keine Gelehrte sind zu Ungezogenheiten, Zänkereyen und wechselseitigen Beschimpfungen geneigter als die Deutschen." Wieland reagiert souverän (wieviel Mühe ihn das kostete, erfährt man aus seinen Briefen) und rezensiert die Schrift:

so trieb es Aristophanes ehemals mit dem nehmlichen Euripides, welchen Hr. Göthe hier, mit der ihm eignen Laune, dem Verfasser des Singspiels Alceste auf den Kopf treten läßt. Wir empfehlen diese kleine Schrift allen Liebhaber der pasquinischen Manier als ein Meisterstück von Persiflage und sophistischem Witze, der sich aus allen möglichen Standpunkten sorgfältig denjenigen auswählt, aus dem ihm der Gegenstand schief vorkommen muß, und sich dann recht herzlich lustig darüber macht, daß das Ding so schief ist!
  W.

       'Ungezogen' war wohl auch die andere Satire, Das Unglück der Jacobis. Es liegt sogar die Vermutung nahe, daß Goethe da auch des Privatleben Fritz Jacobis aufs Korn nahm. Aber diese Satire hat er selbst vernichtet. Übriggeblieben sind nur zwei Illustrationen, die - vielleicht - dazu gehören:
 



branliren: masturbieren.

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