Die Tafelrunde. Erste Gedicht-Publikationen

Wissen Sie, was ein "Wargestalltruckprallinger" ist? *  Siegfried August von Goué, aus dessen Büchlein "Der hoeere Ruf" dieses Wort stammt, war ein führendes Mitglied der 'Tafelrunde' von "Schoenweltbrauslingen", die in Wetzlar ihr "Kraftsinnlichkeits Gefuil" pflegten. Schon zu dieser Zeit, als vom Sturm und Drang noch gar keine ernstzunehmenden poetischen Werke ans Licht gekommen waren, eignete sich die kraftgenialische Geste bereits zum parodistischen Zeremoniell der angehenden Juristen.

An einer großen Wirthstafel traf ich beynah sämmtliche Gesandtschaftsuntergeordnete, junge muntere Leute, beysammen; sie nahmen mich freundlich auf, und es blieb mir schon den ersten Tag kein Geheimniß, daß sie ihr mittägiges Beysammenseyn durch eine romantische Fiction erheitert hatten. Sie stellten nämlich, mit Geist und Munterkeit, eine Rittertafel vor. Obenan saß der Heermeister, zur Seite desselben der Kanzler, sodann die wichtigsten Staatsbeamten; nun folgten die Ritter, nach ihrer Anciennetät; Fremde hingegen die zusprachen, mußten mit den untersten Plätzen vorlieb nehmen, und für sie war das Gespräch meist unverständlich, weil sich in der Gesellschaft die Sprache, außer den Ritterausdrücken, noch mit manchen Anspielungen bereichert hatte. Einem Jeden war ein Rittername zugelegt, mit einem Beyworte. Mich nannten sie Goetz von Berlichingen, den Redlichen. Jenen verdiente ich mir durch meine Aufmerksamkeit für den biedern deutschen Altvater, und diesen durch die aufrichtige Neigung und Ergebenheit gegen die vorzüglichen Männer die ich kennen lernte. Dem Grafen von Kielmannsegg bin ich bey diesem Aufenthalt vielen Dank schuldig geworden. Er war der ernsteste von allen, höchst tüchtig und zuverlässig. Von Goué, ein schwer zu entziffernder und zu beschreibender Mann, eine derbe, breite, hannovrische Figur, still in sich gekehrt. Es fehlte ihm nicht an Talenten mancher Art. Man hegte von ihm die Vermuthung, daß er ein natürlicher Sohn sey; auch liebte er ein gewisses geheimnißvolles Wesen, und verbarg seine eigensten Wünsche und Vorsätze unter mancherley Seltsamkeiten, wie er denn die eigentliche Seele des wunderlichen Ritterbundes war, ohne daß er nach der Stelle des Heermeisters gestrebt hätte. ...

Ob ich nun gleich zu solchen Possen sehr gern beyrieth, ... so hatte ich mich doch schon früher an solchen Dingen müde getrieben, und als ich daher meine Frankfurter und Darmstädter Umgebung vermißte, war es mir höchst lieb, Gottern gefunden zu haben, der sich mit aufrichtiger Neigung an mich schloß, und dem ich ein herzliches Wohlwollen erwiederte. Sein Sinn war zart, klar und heiter, sein Talent geübt und geregelt; er befleißigte sich der französischen Eleganz und freute sich des Theils der englischen Literatur, der sich mit sittlichen und angenehmen Gegenständen beschäftigt. Wir brachten viele vergnügte Stunden zusammen zu, in denen wir uns wechselseitig unsere Kenntnisse, Vorsätze und Neigungen mittheilten. Er regte mich zu manchen kleinen Arbeiten an, zumal da er, mit den Göttingern in Verhältniß stehend, für Boie's Almanach auch von meinen Gedichten etwas verlangte.

"Boie's Almanach" - das waren die jährlich erscheinenden Musenalmanache, die Heinrich Christian Boie und Friedrich Wilhelm Gotter seit 1769/70 herausgaben: Die Bühne, auf der in diesen Jahren fast eine ganze Dichtergeneration ihren ersten Auftritt hatte, vor allem die Göttinger 'Hainbündler' Ludwig Christian Heinrich Hölty, Johann Martin Miller, Johann Heinrich Voß, die Grafen Friedrich und Christian zu Stolberg  u. a. Im Musenalmanach für 1774 (erschienen im Herbst 1773) und in Matthias Claudius' "Wandsbecker Boten" von 1773 erschienen die ersten veröffentlichten Gedichte Goethes.



*Auflösung in der nächsten Folge. - Von Goué gibt es übrigens auch ein kurioses Drama "Masuren oder der junge Werther"; wir haben es auf die CD genommen.
 


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